Als am 8. Mai 1945 die ersten Patrouillen der Roten Armee das Gelände des bereits ehemaligen Stalag VIII A betraten, trafen sie dort nur kranke und marschunfähige Häftlinge an, die man nicht evakuiert hatte, sowie über 200 an Tuberkulose erkrankte polnische Gefangene, die im April 1945 vom Krankenhaus in Tangerhütte hierher verlegt worden waren. Die letzten Wachmänner hatten das Stalag am Abend des 7. Mai verlassen.
Die Aufsicht über das Lagergelände übernahm vorübergehend die Rote Armee; wie es heißt, wurden hier Mitglieder der Wlassow-Armee, aber auch Zivilpersonen interniert. Im Herbst 1945 kam das ehemalige Lager unter polnische Verwaltung und wurde durch polnische Militäreinheiten übernommen. Die Gebäude des Stalag dienten eine Zeit lang als Übergangslager für die u.a. aus Bogatynia (Reichenau) ausgesiedelten Deutschen. In den nächsten Jahren wurden die Baracken demontiert: das Holz verschwand angeblich durch polnische Neusiedler, die Heizmaterial suchten, die Steine der gemauerten Baracken waren für den Wiederaufbau Warschaus vorgesehen.
Obwohl die Thematik der Gefangenenlager in der Volksrepublik Polen für die Propaganda gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeschlachtet wurde, interessierte sich damals kaum jemand in Polen für das Schicksal des ehemaligen Stalag noch – vor allem – für die Massengräber der Gefangenen, der Epidemietoten aus der Anfangszeit so wenig wie der Opfer der unmenschlichen Politik der Deutschen gegenüber den russischen Gefangenen. Die im Lager Görlitz-Ost umgekommenen Gefangenen aus westeuropäischen Ländern wurden auf dem römisch-katholischen Friedhof in Pieńsk (Penzig) oder auf dem evangelischen Friedhof in Görlitz begraben. Nach dem Krieg wurden viele Toten umgebettet; die übrigen liegen bis heute am ursprünglichen Ort, sind aber nicht gekennzeichnet. Einige Beisetzungen fanden auf dem Friedhof im heutigen Zgorzelec statt, und diese Gräber bestehen weiterhin.
Die 1949 entstandene, entlang Oder und Neiße an Polen grenzende Deutsche Demokratische Republik fühlte sich für die Verbrechen des Naziregimes nicht verantwortlich und vertrat den Standpunkt, die Zugehörigkeit zur “sozialistischen Staatengemeinschaft” befreie ihre Bürger automatisch von der Last der Schuld. Das ehemalige Stalag war in den Beziehungen zwischen Volkspolen und der DDR kein Thema.
Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde auf einem Teil des Gräberfeldes der sowjetischen Gefangenen ein symbolischer Friedhof angelegt. An einem großen Stein sind zwei Gedenktafeln angebracht. Eine Tafel trägt in polnischer Sprache die Inschrift: „Ruhm und Ehre den in den Jahren 1942–1945 verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen des Stalag VIII A“; sie wurde 1964 von polnischen Behörden gestiftet. Auf der anderen, 1965 von ehemaligen französischen Kriegsgefangenen angebrachten Tafel steht in polnischer und französischer Sprache: „Den Gefangenen des Stalag zu Ehren – unseren in Gefangenschaft verstorbenen Kameraden aller Nationen. August 1965“.
Anfang der 70er Jahre hat die französische Vereinigung Ehemaliger Kriegsgefangener der Oflags und Stalags des VIII. Wehrkreises die Initiative ergriffen, zur Erinnerung an das Schicksal der Kriegsgefangenen ein Denkmal zu errichten, und organisierte eine Sammlung unter den französischen und belgischen Veteranen. Der Entwurf entstand im Atelier für Bildende Künste in Zielona Góra; den Hauptteil des Denkmals hat der dortige Künstler Tadeusz Dobosz geschaffen. Das Denkmal errichtete man an dem Ort, da sich früher die Kommandantur des Lagers befand; seine Einweihung fand am 22. Juli 1976 statt. Im Jahre 1994 wurde dank der Bemühungen französischer Veteranen eine weitere Tafel am Denkmal angebracht, auf der in polnischer und französischer Sprache steht: „Stalag VIII A, 1939–1945. Durch dieses Lager gingen, in ihm lebten und litten Hunderttausende Kriegsgefangene”.
Hervorragende Verdienste um das Aufrechterhalten der Erinnerung an das ehemalige Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A erwarb sich der einheimische Geschichtslehrer Roman Zgłobicki. Seine Forschungen und Bemühungen sowie seine Materialiensammlung ermöglichten es ihm, in der ersten Hälfte der 70er Jahre eine dem Stalag VIII A gewidmete Gedenkstube im Technikum für Bergbau und Energietechnik in Zgorzelec zu organisieren. Roman Zgłobicki ist auch Autor einiger Veröffentlichungen zum Schicksal der Kriegsgefangenen in dieser Region, darunter eines so grundlegenden Werkes wie „Kriegslager und Kriegsfriedhöfe in Zgorzelec“ (Obozy i cmentarze wojenne w Zgorzelcu), das 1995 erschienen ist und bis heute die Hauptquelle für Informationen über Kriegsgefangene des Dritten Reichs im ehemaligen Görlitz-Ost darstellt.
Mit dem Stalag VIII A und dem Alltagsleben der Kriegsgefangenen in Görlitz befasste sich auch Hannelore Lauerwald, Journalistin und Autorin der Bücher „In fremdem Land. Kriegsgefangene im Stalag VIII A Görlitz. Tatsachen, Briefe, Dokumente“ (Görlitz 1997) und „Primum vivere. Zuerst Leben. Wie Gefangene des Stalag VIII A Görlitz erlebten“ (Bautzen 2008).
Das mangelnde Interesse beider aneinandergrenzender Staaten wie ihrer Gesellschaften führte zu einem allmählichen Verfall dieses Erinnerungsortes. Schließlich bedeckte ein dichter Birkenwald das Gelände des Stalag, im hohem Gras verrotteten die bemoosten Reste der Bebauung: die Fundamente der Baracken und des Wasserbehälters der Lagerküche, die Ruine der Küchenbaracke und Überbleibsel des Zauns.
Eine Wende trat im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ein. Im Jahre 2002 nämlich besuchte Dr. Albrecht Goetze (1942–2015) Görlitz. Der Literaturhistoriker, Regisseur und Musikliebhaber wollte den Ort kennenlernen, an dem Olivier Messiaen sein berühmtes Quartett für das Ende der Zeit komponiert hatte. Während des Studiums der Partitur hatte Goetze vom Ort und von den Umständen ihrer Entstehung erfahren. Der kurze Besuch wurde zu einem zehnjährigen Aufenthalt, ausgefüllt mit der Schaffung eines europäischen Begegnungsortes, der die Erinnerung an das Stalag VIII A mit der Zukunft verbinden sollte und die Wissenschaft mit Kunst und Musik, im Bestreben nach Annäherung der Menschen vieler Nationalitäten, Kulturen und Auffassungen. Auf Initiative Goetzes entstand 2007 in Görlitz der Meetingpoint Memory Messiaen e.V.
Albrecht Goetze wollte sowohl die Tatsache der Kriegsgefangenschaft des berühmten Komponisten dem Vergessen beider Gesellschaften entreißen als auch die Erinnerung an den Ort selbst wiederbeleben. Die Gründung des Vereins trug erheblich zum wachsenden Interesse für die Geschichte des Stalag und die Schicksale seiner Gefangenen bei.
Die Entstehung des Meetingpoint Memory Messiaen e.V. war Anlass für Kontakte zwischen Vertretern des Vereins und der Selbstverwaltungen von Görlitz und Zgorzelec (genauer: Zgorzelecer Stadtgemeinde und Gemeinde Zgorzelec) über die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Lagers, die der Bevölkerung beider Städte und der Region zugleich als Ort der Zusammenarbeit, der Integration und der Festigung der Erinnerung dienen sollte. Ergebnis dieser Verhandlungen war der Beschluss, als Symbol sowohl der tragischen Vergangenheit als auch der gemeinsamen Zukunft ein Erinnerungs- und Begegnungszentrum einzurichten, einen Ort, an dem die Erinnerung an das schwierige historische Erbe und die dramatische Vergangenheit mit modernen Formen kulturellen Austausches der im Dreiländereck lebenden Gesellschaften und mit auf die Zukunft im vereinten Europa orientierten edukativen Maßnahmen einhergehen würde.
Der Antrag wurde von polnischer Seite erarbeitet und im Rahmen des EU-Programms ETZ Sachsen – Polen 2007–2013 im Jahre 2009 eingereicht. Nach zahlreichen Korrekturen begannen im Januar 1914 die Bautätigkeiten; hierfür hatte die Gemeinde Zgorzelec einen Teil des Geländes zur Verfügung gestellt. Die zuständigen Selbstverwaltungen, d.h. die Gemeinde Zgorzelec, die Zgorzelecer Stadtgemeinde und das Landratsamt Zgorzelec sicherten den zur Realisierung des Projekts notwendigen Eigenbeitrag. Leitender Partner des Projekts war die Stiftung Zentrum für Förderung des Unternehmertums (aktuelle Bezeichnung: Stiftung Erinnerung, Bildung, Kultur), die deutschen Partner der Meetingpoint Memory Messiaen e.V und das Landratsamt Görlitz. Bereits im Januar des folgenden Jahres wurde das Gebäude des Europäischen Zentrums für Bildung und Kultur (aktuelle Bezeichnung: Europäisches Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur) offiziell in Betrieb genommen.
Seit diesem Zeitpunkt ist das Zentrum ein Ort, an dem zahlreiche Aktivitäten zur Annäherung beider Gesellschaften, insbesondere junger Menschen stattfinden. Grenzübergreifende und internationale Projekte werden durchgeführt, Konferenzen und Seminare zur Geschichte des Stalag VIII A, internationale historische Workshops, viele Konzerte und andere Veranstaltungen für Jugend und Erwachsene organisiert. Im Zentrum befinden sich erste Exponate einer ständigen Informationsausstellung über das Lager, die vom Verein Meetingpoint erarbeitet wurde.
Seit Januar 2015 empfing das Zentrum bereits einige Tausend Gäste: Konzertbesucher und Workshopteilnehmer, Familien ehemaliger Kriegsgefangener aus aller Welt sowie Touristen, die den polnisch-sächsischen Grenzraum bereisten.
Von 2008 an, noch vor Errichtung des Zentrumgebäudes, organisierte der Meetingpoint Memory Messiaen e.V. in Zusammenarbeit mit den Selbstverwaltungen von Zgorzelec jährlich am 15. Januar ein Festkonzert, zur Erinnerung an die Uraufführung vom Olivier Messiaens Quartett für das Ende der Zeit im Jahre 1941 und zum Gedenken an all diejenigen, die an diesem Ort einige Jahre der Gefangenschaft durchlitten und die zu Tausenden hier ihr Leben verloren hatten. 2017 wurde dieses Einzelkonzert in ein mehrtägiges Musikfestival – Internationale Messiaen-Tage – umgewandelt, das von Vorträgen, Workshops für Jugendliche und Stalag-Führungen begleitet wird.
Seit 2017 findet am Obelisk auf dem Gelände des ehemaligen Stalag, jeweils im Mai, unter Ägide der Stiftung Erinnerung, Bildung, Kultur eine feierliche Veranstaltung statt anläßlich des Jahrestags der Lagerbefreiung. Daran nehmen neben Vertretern der Selbstverwaltungsbehörden und eingeladenen Gästen die Schüler der Zgorzelecer Schulen teil sowie interessierte Einwohner von Zgorzelec und Görlitz. Ein anrührender Moment dieser Veranstaltung ist das ökumenische Gebet, das von Geistlichen einiger Konfessionen mitgestaltet wird und in dem an die Kriegsgefangenen vieler Nationalitäten und Religionen erinnert wird.
Ziel des Zentrums ist – neben den edukativ-kulturellen Maßnahmen, welche die Attraktivität der Region und ihres kulturellen und historischen Erbes unterstreichen sollen – die Pflege der Erinnerung an das ehemalige Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A bei den Gesellschaften Europas, vor allem der polnischen und der deutschen, aber auch im größeren Rahmen. Um die Bedeutung der mit dem Stalag verbundenen historischen Erinnerung unter den Aktivitäten des Zentrums zu betonen, wurde dessen Bezeichnung in Europäisches Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur geändert.