Zu den Tausenden Kriegsgefangenen des Stalag VIII A gehörte auch der französische Komponist Olivier Messiaen. Sein Name ist unzertrennlich mit der Geschichte dieses Stalag verbunden, denn hier hat er eines seiner bekanntesten Kammermusikwerke geschaffen: das Quatuor pour la fin du temps (Quartett auf das Ende der Zeit).
Messiaen wurde im Jahre 1908 in Avignon geboren. Sein Vater war Professor der englischen Sprache; nach dem Ersten Weltkrieg begann er damit, die Werke Shakespeares ins Französische zu übersetzen, und verfolgte dieses Projekt über mehr als drei Jahrzehnte hin. Messiaens Mutter war die Dichterin Cécile Sauvage, und es gab einen jüngeren Bruder namens Alain. Die literarisch-dichterische Atmosphäre des Hauses und die magische Welt der Fabelwesen, Hexen und Gespenster, denen der Junge in Märchen, aber auch in einigen Werken von Shakespeare begegnete, hatten Einfluss auf seine Interessen und Fähigkeiten. Es ist wohl kein Zufall, dass fast alle späteren Vokalkompositionen Messiaens auf eigenen Texten beruhen und vielen seiner Werke Kommentare in Form von Prosagedichten vorangestellt sind.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde der Vater mobilisiert und die Mutter ging mit den Söhnen nach Grenoble. In dieser Zeit erwies sich der Junge als musikalisch hochbegabt – er begann autodidaktisch Klavier zu spielen und komponierte erste unkomplizierte Klavierstücke; daraufhin erhielt er regulären Klavierunterricht. Recht früh entdeckte er die Klavierwerke von Claude Debussy und Maurice Ravel für sich, was später wichtig wurde für seine eigene Entwicklung als Komponist. In dieser Zeit begann er sich auch für den katholischen Glauben zu interessieren, der in seinem Denken und Schaffen bald eine herausragende Rolle spielen sollte.

Nach der Rückkehr des Vaters aus dem Krieg zog die Familie für kurze Zeit nach Nantes, wo Olivier Messiaen außer dem Klavierunterricht bei unterschiedlichen Lehrern von dem Komponisten Jean (Jehan) de Gibon in Harmonielehre unterwiesen wurde.

Im Jahre 1919 wurde Messiaens Vater als Lehrer an die bekannte Pariser Schule Lycée Charlemagne berufen und die Familie wechselte abermals den Wohnort. Hier setzte der elfjährige Messiaen seine musikalische Ausbildung am Konservatorium von Paris fort, einer der bedeutendsten Musikschulen Europas. Bis zum Jahr 1930 studierte Messiaen am Konservatorium mehrere Fächer: Klavier, Harmonielehre, Orgel (bei dem berühmten Organisten, Musikpädagogen und Komponisten Marcel Dupré), Polyphonie, Instrumentation und Musikgeschichte. Letzteres Fach weckte in ihm das Interesse für gregorianische Melodien, auf welche er später in seinen Kompositionen zurückgriff. Für seine Leistungen im Studium erhielt er mehrere Auszeichnungen in verschiedenen Fächern, als letzte den Ersten Preis in der Kompositionsklasse im Jahre 1930. In diesem Jahr verließ Messiaen das Pariser Konservatorium mit dem Diplom für höhere musikalische Studien. Während seiner Studienzeit komponierte er etwa ein Dutzend Musikstücke, darunter das erste veröffentlichte Werk „Huit Préludes“ für Klavier.

Im Jahre 1931 wurde Messiaen Organist an der Kirche La Trinité (Dreifaltigkeitskirche) in Paris; diese Stelle hatte er 61 Jahre lang inne, auch dann noch, als er weltberühmt geworden war. Die 1930er Jahre waren eine Zeit intensiver Kontakte zu anderen jungen Komponisten, u.a. in der Gruppe Jeune France, deren Mitbegründer er war, eine Zeit auch, in der weitere Kompositionen entstanden und er seine Lehrtätigkeit begann. Er unterrichtete Blattspiel am Klavier an der École Normale de Musique de Paris, die viele bedeutende Komponisten und Musiker als Lehrer beschäftigte und sich ebenso vieler herausragender Studenten rühmen konnte.

Im Jahre 1932 heiratete Messiaen die Violinistin und Komponistin Claire Delbos (Mi genannt), die wenige Jahre nach der Geburt des Sohnes Pascal 1937 an einem ernsten Nervenleiden erkrankte (sie starb 1959). Für sie schrieb Messiaen den Vokalzyklus „Poèmes pour Mi“ und einige Violinstücke.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde Messiaen zum Militärdienst einberufen. Nach Hitlers Angriff auf Frankreich im Mai 1940 und nach dessen Kapitulation geriet Messiaen in Gefangenschaft und wurde mit Tausenden französischer Kriegsgefangenen ins Stalag VIII A nach Görlitz-Moys gebracht. Dank einem glücklichen Zufall konnte er unter schweren Lagerbedingungen – Kälte, Hunger und Freiheitsentzug – ein Musikwerk schaffen, das später zu seinen größten Kammermusikwerken gerechnet wurde. Es war das Quatuor pour la fin du Temps (Quartett auf das Ende der Zeit) für Klavier, Violine, Klarinette und Cello. Das Werk wurde am 15. Januar 1941 im Stalag uraufgeführt, vom Komponisten selbst und den drei Musikern Étienne Pasquier, Henri Akoka und Jean Le Boulaire, seinen Leidensgenossen.
Im Februar 1941 wurde Messiaen aus dem Stalag entlassen; schon nach kurzer Zeit nahm er die Zusammenarbeit mit der Gruppe Jeune France wieder auf, und Ende März 1941 ging er als Lehrer für Harmonielehre ans Pariser Konservatorium. Seit 1947 lehrte er auch Analyse, Ästhetik und Rhythmik. Eine Stelle als Professor in einer Kompositionsklasse bekam er erst 1966, bis dahin hatte ihn die Schulbehörde „eines skandalträchtigen Modernismus“ geziehen. Bis zum Ende seiner Tätigkeit am Konservatorium im Jahre 1978 bildete er mehrere Generationen bedeutender Komponisten des 20. Jahrhunderts aus.

1961 heiratete Messiaen die Pianistin Yvonne Loriod, seine frühere Schülerin am Konservatorium, die fortan als bedeutende Interpretin seiner Klavierwerke galt. Vom Ende der 1950er Jahre an wurde Messiaen Mitglied vieler bedeutender europäischer und amerikanischer Gesellschaften, wissenschaftlicher und Kultur-Vereine, u. a. der Académie des Beaux-Arts, der American Academy of Arts and Letters und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Überdies zeichnete man ihn mit vielen renommierten Preisen aus, darunter mit dem Music Award der Royal Philharmonic Society in London.

Die Liste der musikalischen Werke Messiaens ist imposant: er schrieb hunderte Kompositionen, vor allem Orchesterwerke, Kammermusik, Klavier- und Orgelwerke sowie Vokalwerke und eine einzige Oper nach eigenem Libretto,
„Saint François d´Assise“.
Anregungen für sein musikalisches Schaffen fand er im Studium der Zahlenmystik, der indischen Rhythmik, des gregorianischen Gesangs, der Klangwelt der javanischen Gamelan-Musik und des Vogelgesangs, aber auch in der Musik von Debussy, Ravel, Stravinsky und Mussorgsky. Nach seinen eigenen Worten war er Synästhetiker, der sowohl bei Klängen Farben sieht als auch bei Farben Klänge hört.

Einen besonderen Platz in seinem musikalischen Schaffen nimmt der Vogelgesang ein, der ihn faszinierte und ihm Anregungen gab. Während seiner zahlreichen Weltreisen zeichnete er Vogelstimmen auf (er war in der Lage, ungefähr 700 Vogelrufe zu unterscheiden); der Vogelgesang kommt in vielen Werken vor, u.a. in den dreizehn Klavierstücken Cataloque d’oiseaux.

Olivier Messiaen starb am 27. April 1992 in Clichy. Beigesetzt ist er auf dem Friedhof in Saint-Théoffrey, einer Ortschaft unweit von Grenoble, wo er ein Haus hatte.