Pfarrer Franz Scholz
Im Frühling 1940 beauftragte der in Breslau amtierende Adolf Kardinal Bertram den Priester Franz Scholz mit der Organisation der Seelsorge in Görlitz-Ost. Görlitz war eine evangelische Stadt, doch die Anwesenheit zahlreicher Migranten aus dem überwiegend katholischen Oberschlesien und vor allem der hier stationierten Soldaten führte Mitte der 20er Jahre zu dem Beschluss, auf der rechten Neißeseite eine katholische Kirche zu errichten. Im Mai 1930 fand die feierliche Einweihung der neuen Kirche statt, die unters Patronat des heiligen Bonifatius gestellt wurde. Sie war aber zunächst keine gesonderte Pfarrei.
Im Dezember 1940 übernahm die Erzdiözese Breslau die Verwaltung der Kirche und gründete hier eine selbständige Pfarrei. In seinen Erinnerungen nennt Franz Scholz das Stalag als Grund dafür, dass Kardinal Bertram ihn dorthin schickte und eine Pfarrei gründete, wo er Pfarrer und der einzige Priester war. Fürderhin stieg Pfarrer Scholz alle zwei Wochen auf sein ausgedientes Fahrrad und fuhr ins Stalag, wo er für die Kriegsgefangenen die Heilige Messe zelebrierte – im Sommer für Tausende im Freien, auf dem Appellplatz, im Winter in der Kapellenbaracke für einige Hundert Gläubige. Obwohl er nur auf Deutsch predigen durfte, suchte er immer einige Trostworte auf Französisch und Polnisch einzuflechten.
Wer war Franz Scholz? 1909 in Breslau geboren, war er das zweite der elf Kinder von Franz und Helene Scholz, Katholiken und Schlesier seit Generationen. Als kleiner Junge begegnete er während der Wanderungen mit seinem Vater und seinen Brüdern durch die Breslauer Vororte polnischen Saisonarbeitern. Er hörte ihre Lieder in der Pfarrkirche, was ihn sehr beeindruckte.
Nach dem Abitur im Jahr 1929 am Breslauer St.-Matthias-Gymnasium begann Franz Scholz das Studium der katholischen Theologie und der Caritaswissenschaften in Breslau und Freiburg im Breisgau. In dieser Zeit konnte er sich auch seinen Wunsch erfüllen, Polnisch zu lernen. In den Jahren 1930 bis 1937 ging er mehrmals nach Polen, zunächst als Seminarist, später dann als Priester. Dank seiner Sprachkenntnisse konnte er den polnischen Saisonarbeitern helfen und sie seelsorgerisch betreuen. Zu dieser Zeit arbeiteten in Mitteldeutschland jährlich bis zu 100 000 Männer und Frauen aus Polen. Während seines Urlaubs bereiste Franz Scholz, weder seine Kräfte schonend noch die Zeit scheuend, in seelsorgerischen Diensten viele oft weit voneinander entfernte Ortschaften.
Nach der Priesterweihe im Jahr 1934 setzte Franz Scholz sein Theologiestudium fort, indem er an einer Dissertation arbeitete, die er 1940 mit dem Doktortitel abschloss.
In Görlitz-Ost hatte Pfarrer Scholz nicht nur Kriegsgefangene und seine deutsche Pfarrgemeinde unter seiner Obhut. Es gab auch die polnischen Zwangsarbeiter. Für sie hielt er jeden Monat eine Messe ab. Zwar durfte er nicht die polnische Sprache benutzen, doch gelang es ihm, von der Gestapo die Erlaubnis zu erhalten, eine kurze, zensierte Predigt auf Polnisch zu halten.
Etwa im vierten Kriegsjahr erfuhr er einmal durch im Urlaub weilende Soldaten von den deutschen Verbrechen in Polen. Wie er später schrieb, war das für ihn ein unvorstellbarer Schock. Das Einzige, was er tun konnte, war Beten und Büßen. Zusammen mit einer Gruppe vertrauter Gemeindemitglieder stellte er in der Nacht zum 14. September 1943 ein Sühnekreuz an der Kirche auf. Das Kreuz war mit der Aufschrift Stat crux dum volvitur orbis versehen (Das Kreuz steht, während die Welt durcheinandergerät). An der Kirche gingen jeden Tag Gefangenenkolonnen vorbei, morgens auf dem Weg zur Arbeit und abends zurück ins Stalag. Das vor 76 Jahren aufgestellte Sühnekreuz steht in Zgorzelec bis zum heutigen Tag.
Seit Ende 1944 brachte die immer näher rückende Front große Veränderungen ins Leben der Görlitzer. Durch die Stadt zog eine riesige Welle von Flüchtlingen, die der Roten Armee entkommen wollten. Schließlich gab es auch einen Evakuierungsbefehl für die Einwohner von Görlitz. Ein Teil der Bevölkerung beschloss jedoch zu bleiben, nicht alle wollten mitten im strengen Winter die Flucht riskieren. Der Pfarrer blieb auf Gedeih und Verderb bei seinen Gemeindemitgliedern. Am 8. Mai 1945 marschierten die ersten russischen Patrouillen in die Stadt ein. Nach einigen Wochen wurde klar, dass Görlitz-Ost an Polen kommen und die Neiße somit Grenzfluß sein werde. Die befreiten polnischen Insassen des Stalag und die polnischen Zwangsarbeiter setzten sich bei den polnischen Behörden für Pfarrer Scholz ein, berichteten über seine Hilfe und seine Anteilnahme an ihrem Schicksal während des Krieges. Viele Anordnungen der neuen Macht, die so tiefgreifend in das Leben seiner Landleute einbrachen, betrafen also Franz Scholz nicht. Während ihn jetzt die polnische Verwaltung tolerierte, versuchte er nach besten Kräften, seinen deutschen Landsleuten zu helfen. Diese dramatischen Ereignisse beschreibt er in seinem Görlitzer Tagebuch 1945/46.
In den nächsten Monaten war er der einzige katholische Priester in Görlitz-Ost; schnell gewann er die neuen polnischen Gemeindemitglieder, die ihn respektierten, ihm vertrauten und, was auch wichtig war, ihn in schweren Augenblicken unterstützten. Er betreute seelsorgerisch auch die im bereits aufgelösten Stalag verbliebenen kranken Soldaten. Im Juni 1945 gab es eine gewaltige Fronleichnamsprozession. Pfarrer Scholz wurde von einem hohen polnischen Offizier und einem hohen Verwaltungsbeamten begleitet und der Baldachin von vier polnischen Soldaten getragen. An der Prozession nahmen viele polnische Soldaten teil, und polnische soAwie deutsche Pfarrmitglieder sangen abwechselnd polnische und deutsche Sakramentslieder.
Im Frühling 1946 jedoch verschärfte sich die politische Situation, es gab immer mehr Menschen, für die Franz Scholz vor allem Deutscher war und die sein Weggehen verlangten. Ein weiterer Aufenthalt in Zgorzelice, denn diesen Namen trug jetzt Görlitz-Ost, war für ihn unmöglich geworden. Sein Entschluss, die Stadt zu verlassen, wurde dadurch erleichtert, dass ein junger polnischer Priester nach Zgorzelice kam, in dem er laut einem Tagebucheintrag einen Mitbruder fand. Im April 1946 verließ Franz Scholz seine Pfarrgemeinde und Mitte Mai ging er illegal über die Grenze auf die deutsche Seite. Über drei Jahre lang lebte er in Görlitz. Er arbeitete für „Caritas“ und sorgte für Aussiedler und Flüchtlinge, insbesondere für elternlose Kinder – Waisen oder solche, die von ihren Eltern auf der Flucht getrennt worden waren.
Im Oktober 1949, wenige Tage nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, verließ Franz Scholz illegal Görlitz und ging nach Westdeutschland.
Anfangs lehrte er Moraltheologie in Königstein (Taunus) und studierte gleichzeitig weiter; 1955 habilitierte er. 1956–1971 wirkte Franz Scholz als Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Fulda und als Lehrbeauftragter an den Universitäten in Marburg und Frankfurt am Main, wo er auch zum Honorarprofessor ernannt wurde. 1972–1976 lehrte Franz Scholz als Ordinarius Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Nach seiner Emeritierung 1976 ging er als Pfarrer nach Klein-Zimmern im Landkreis Darmstadt-Dieburg.
Der Priester und Professor Franz Scholz verstarb am 1. September 1998 in Dieburg und wurde dort beigesetzt.
Im September 2018 wurde am ehemaligen Pfarrhaus in der Czachowskiego-Straße Nr. 7 (früher Götzenstraße) in Zgorzelec eine Gedenktafel für Pfarrer Franz Scholz enthüllt.